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Lipödem - Rundstrick oder Flachstrick

02/12/20 10:12:AM

Die Kompression in der Behandlung von Lip- und Lymphödemen 

Die Anwendung von Druck auf krankes Gewebe oder defekte Gefässe kann ausgesprochen positive Wirkungen zeigen. Das wussten schon die Menschen in der Steinzeit und der Antike. Und auch wir, wenn wir uns stossen, pressen instinktiv eine Hand auf die schmerzende Stelle, um den Schmerz zu lindern und eine Schwellung zu verhindern. In der Medizin wird die Anwendung von Druck auf Gewebe und Gefässe als Kompressionstherapie bezeichnet. Sie erfüllt gleichzeitig eine Vielzahl von Funktionen: 

  • Es gelangt weniger Flüssigkeit aus den Blutkapillaren ins Gewebe.
  • Sie verbessert die Funktion der Klappen und die Strömungsdynamik in den Lymphgefässen und Venen und damit den lymphatischen und venösen Abfluss.
  • Sie wirkt dem „Volllaufen“ des Ödems aufgrund der Schwerkraft entgegen. 
  • Sie unterstützt die Muskelpumpe und verbessert dadurch den venösen und den lymphatischen Abfluss, wenn wir uns bewegen. 
  • Sie verteilt die Last über eine grössere Fläche, wodurch wesentlich mehr Lymphgefässe an deren Abtransport beteiligt werden. Sie eröffnet also zusätzliche und alternative Wege für den Lymphabfluss.
  • Sie verringert den Abstand zwischen den Blutkapillaren und den Zellen („Transit- oder Diffusionsstrecke“). Dadurch wird das Gewebe besser mit lebenswichtigen Stoffen versorgt und von Abfallprodukten befreit. Dies verringert den oxidativen Stress. 
  • Sie verbessert die mikrozirkulation des Blutes in der Haut und intensiviert dadurch den Stoffaustausch der einzelnen Zellen im Gewebe. Auch das verringert den oxidativen Stress.
  • Sie trägt zur Lockerung von verhärtetem Gewebe (Fibrosen) bei.
  • Das Gewebe wird entlastet und dadurch deutlich schmerzfreier.

Je stärker ein Lymphödem ausgeprägt ist, desto schlechter wird das Gewebe mit lebenswichtigen Stoffen versorgt und es kommt zum Absterben von Zellen. Und da abgestorbene Zellen für Bakterien und andere Mikroorganismen ein „gefundenes Fressen“ sind, laufen im ödematisierten Gewebe viele Entzündungsprozesse ab, die wiederum schädlichen Einfluss auf das umgebende Gewebe haben. Aufgrund dieser Vorgänge ist die körpereigene Abwehrkraft im Bereich des Lymphödems geschwächt. Als Folge davon Können Infektionen wie Wundrose (Erysipel) und andere Entzündungen des Hausgewebes und der darin befindlichen Gefässe auftreten. 

Beim Lipödem dient das tägliche Tragen von Kompressionsstrümpfen langfristig dazu, eine Verschlechterung des Krankheitsbildes zu verhindern. Kurzfristig können dadurch Wassereinlagerungen vermieden oder reduziert werden, die insbesondere bei höheren Temperaturen und nach langem Stehen oder Sitzen zu einem oft massiven Schweregefühl der Beine führen, das meist von starken Schmerzen begleitet wird. 

Die Wichtigkeit von Kompressionsstrümpfen 

Kompressionsstrümpfe sind nicht einfach Kleidungsstücke wie etwa normale Strümpfe oder T-Shirts. Um eine Patientin mit dem für sie richtigen Kompressionsstrumpf zu versorgen, müssen zahlreiche Faktoren harmonisch ineinandergreifen und oftmals müssen widersprüchliche Forderungen in Einklang gebracht werden. Das kommt etwa der Quadratur des Kreises gleich. Denn wer einen Kompressionsstrumpf braucht, benötigt den Richtigen. Bekommt sie etwas anderes, bleibt der Strumpf entweder in der Schublade liegen, oder er macht ständig nur Probleme. Oder er verschlimmert die Schwellung und verursacht

sogar noch zusätzliche Erkrankungen. Die Lebensqualität von Menschen mit chronischen Lymphödemen bzw. Lipödemen hängt entscheidend von den Kompressionsstrümpfen ab. Keinem anderen Element in der Behandlung dieser Krankheiten kommt auch nur eine annähernde Bedeutung wie dem Kompressionsstrumpf zu. Das leuchtet sofort ein, wenn man bedenkt, dass der Strumpf beim täglichen Tragen vom Morgen bis zum Abend im Laufe eines Jahres weit mehr als 4.000 Stunden lang seine Wirkung entfalten kann. Und nicht nur das: Ohne anschliessende Kompression ist die Wirkung der manuellen Lymphdrainage-Behandlung innerhalb kürzester Zeit verschwunden. 

Techniken zur Herstellung von Kompressionsstrümpfen 

Was die Machart von medizinischen Kompressionsstrümpfen betrifft, gibt es die Flachstricktechnik und die Rundstricktechnik. Venöse Erkrankungen werden mit rundgestrickten (nahtlosen) Kompressionsstrümpfen behandelt, chronische Lymphödeme bzw. das Lipödem hingegen mit flachgestrickten Bestrumpfungen nach Mass. Die Flachstricktechnik funktioniert wie das Stricken von Hand. hier können in jeder Reihe Maschen zugenommen bzw. abgenommen werden. Das fertige flachgestrickte Textilstück wird dann zylinderförmig gerollt und „hinten“ über die ganze Länge mit einer flachen Naht zusammengenäht. Die Flachstricktechnik ermöglicht, selbst in sehr schwierigen Fällen, eine genaue Anpassung an die Masse des zu versorgenden Körperteils. Flachgestrickte Kompressions-Versorgungen haben einen geringen Ruhedruck (bei ruhender Muskulatur) und einen hohen Arbeitsdruck (bei Anspannung der Muskeln). Der Wechsel von Ruhedruck und Arbeitsdruck (etwa beim Gehen, Laufen, Fahrradfahren, Gymnastik etc.) aktiviert die Muskel- und Gelenkpumpe und verbessert den venösen und den lymphatischen Abfluss. Diese Strümpfe sind weniger elastisch aber einfacher anzuziehen. Dank des geringen Ruhedrucks der flachgestrickten Bestrumpfung wird die arterielle Durchblutung des Hautgewebes nicht beeinträchtigt.

Flachgestrickte Kompressionsstrümpfe können in allen Kompressionsklassen hergestellt werden. Dank ihrer relativ hohen Steifigkeit (Wandstärke) ziehen sich Flachstrickstrümpfe nicht in bestehende Falten hinein (was zur Abschnürung des Lymph- und Blutflusses führen würde) und können selbst abrupte Umfangsdifferenzen überbrücken. Dank dieser beiden Eigenschaften sind flachgestrickte Kompressions-Versorgungen nach Mass für die Behandlung von chronischen Lymphödeme sowie des Lipödems die richtige Wahl. 

Bei der Rundstricktechnik wird der Strumpf auf einer Zylinder- Strickmaschine hergestellt, die man sich wie eine grosse Strickliesel mit hunderten von Häkchen vorstellen kann. Der rundgestrickte Strumpf hat über seine ganze Länge die gleiche Zahl von Maschen pro Reihe, lediglich die Grösse der Maschen variiert. Dadurch sind hier die Möglichkeiten der Formgebung begrenzt: der grösste Umfang der zu versorgenden Gliedmasse kann nur das Dreifache des kleinsten Umfangs betragen. Auch der rundgestrickte Strumpf kann in allen Kompressionsklassen hergestellt werden und wird meist konfektioniert in verschiedenen Grössen und Längen angeboten. Die grosse Elastizität der Rundstrickstrümpfe erzeugt einen relativ hohen Ruhedruck. Spannen sich die Muskeln des Beines an, gibt er nach und baut praktisch keinen Arbeitsdruck auf. Der relativ hohe Ruhedruck presst die krankhaft erweiterten Venen zusammen. Dadurch können die Venenklappen wieder dicht schliessen. 

Rundstrickstrümpfe gelten im Vergleich zu Flachstrickstrümpfen als optisch attraktiver. Deshalb möchten insbesondere jüngere Lymph- und Lipödempatientinnen lieber mit feinem Rundstrick statt mit grobem Flachstrick versorgt werden. Das ist jedoch ein Trugschluss, der zu einer Verschlechterung des Krankheitsbildes beitragen kann. Denn auf Grund ihrer hohen Elastizität und der Dünnwandigkeit neigen rundgestrickte Strümpfe dazu, sich - wie oben schon erwähnt - in Hautfalten oder in die Kniekehle (etwa beim Sitzen) hineinzuziehen, wo sie Blut- und Lymphfluss schmerzhaft abschnüren können. 

Alle medizinischen Kompressionsstrümpfe – egal ob rund- oder flachgestrickt – müssen einen kontrollierten Druckverlauf aufweisen: Der Druck muss am Fuss bzw. der Hand (distal) am stärksten sein und zum Körper hin (proximal) kontinuierlich abnehmen. Dieser Druckverlauf unterstützt den Rückfluss des Blutes in den Venen sowie den Abfluss der Lymphflüssigkeit.